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23. November 2017
Autor: Dr. Andreas Möhlenkamp
Das oberste Finanzgericht des Bundes zwingt den Gesetzgeber zu einer Neuregelung
Der BFH hat den Sanierungserlass 2003 gekippt, der für Unternehmen in Krise und Insolvenz von besonderer Bedeutung war. Bereits am 28.11.2016 hat der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) beschlossen, dass der Sanierungserlass aus dem Jahr 2003 (BMF-Schreiben v. 27. März 2003 IV A 6 S 2140 8/03, BStBl I 2003, 240; ergänzt durch BMF-Schreiben v. 22. Dezember 2009 IV C 6 S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010,18) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Diesen Beschluss hat der BFH nun am 7.2.2017 bekannt gegeben. Steuerermäßigungen aus Billigkeitsgründen sind darum ab sofort nur noch unter den engeren Voraussetzungen der §§ 163, 227 AO möglich. Auf diese Vorschriften hatte sich auch der Sanierungserlass gestützt.
Zwar können Unternehmen, die (Buch- oder Schein-) Gewinne durch Forderungsverzichte in der Krise erlangen, auch weiterhin Billigkeitsanträge beim Finanzamt stellen. Die Finanzverwaltung hat dann aber allgemein sachliche und persönliche Billigkeitsgründe zu prüfen. Bislang genügte es darzulegen, dass nach Abzug von Verlustvorträgen und weiteren negativen Einkünften aus anderen Einkunftsquellen ein (Buch- oder Schein-) Gewinn verbleibt. Insbesondere das Bundesfinanzministerium (BMF) hatte anerkannt, dass der Fiskalzweck eine Besteuerung von Buch- oder Schein-Gewinnen nicht verlangt. Nunmehr dürfte die Finanzverwaltung - jedenfalls bis auf Weiteres - verpflichtet sein zu prüfen, ob der Steuerschuldner noch über weiteres Vermögen verfügt, das er zur Begleichung der Steuerschuld aus dem Sanierungsgewinn einsetzen kann.
Der BFH setzt sich in der Begründung seines Beschlusses mit der Rechtsprechung der Finanz-, Verwaltungs- und Zivilgerichte sowie mit der einschlägigen Literatur umfassend auseinander. Allein die Finanzgerichte Sachsen und München hatten Zweifel, ob der Sanierungserlass dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bzw. dem Legalitätsprinzip entspricht. Alle übrigen Gerichte und die ganz überwältigende Literaturmeinung aus jüngerer Zeit waren davon ausgegangen, dass der Sanierungserlass nicht nur sinnvoll, sondern auch rechtmäßig ist. Einige wenige Gerichte hatten die Frage eines Verstoßes gegen das Legalitätsprinzip offengelassen.
Der BFH sieht gleichwohl einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Der Gesetzgeber habe den früheren § 3 Nr. 66 EStG abgeschafft, der Buch- oder Schein-Gewinne von der Besteuerung ausgenommen habe. Die Finanzverwaltung könne sich über diese Entscheidung nicht hinwegsetzen, indem sie eine allgemein bindende Ausnahme über die §§ 163, 227 AO hinaus erlasse. Das Ziel der Insolvenzordnung, insolvente Unternehmen zu erhalten und außergerichtliche Sanierungen zu fördern, liege außerhalb des Steuerrechts. Daraus folge nicht, dass sich der Fiskus "mit Steuersubventionen an Sanierungen zu beteiligen habe." Die gewichtigen Gegenargumente (vgl. statt vieler Seer, FR 2014, 721 ff.) schlägt der BFH aus.
Die Sanierungspraxis kann mit dem BFH-Beschluss nicht leben. In der Erwartung einer schnellen Neuregelung stocken außergerichtliche Sanierungen. Sanierende Insolvenzpläne liegen auf Eis. Die Finanzverwaltung muss sich sortieren.
Fiskalpolitisch wird der Fiskus - wieder einmal - vor anderen Gläubigern ohne sachlichen Grund bevorzugt. Während "einfache" Gläubiger auf Forderungen verzichten (müssen), um das Unternehmen aus der Krise zu befreien, schöpft das Finanzamt Scheingewinne ab und belastet damit die Sanierung erheblich. Insbesondere fließen dringend benötigte Finanzmitteln ab, die dem Unternehmen durch den Forderungsverzicht zuvor nicht zugeflossen sind und die darum aus anderen Quellen erwirtschaftet werden müssen. Für die Sanierung fehlt das Geld. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bereitschaft der einfachen Gläubiger sinken dürfte, einer Sanierung durch Forderungsverzicht zuzustimmen.
Erheblich sind auch die beihilferechtlichen Konsequenzen des BFH-Beschlusses. Bislang konnte davon ausgegangen werden, dass die Nicht-Besteuerung des Sanierungsgewinns aufgrund der bindenden Wirkung des Sanierungserlasses keine unzulässige Beihilfe nach Art. 107 AEUV ist. Da ab sofort aber die Finanzämter gem. §§ 163, 227 AO im Einzelfall mit Ermessen entscheiden, steht die Steuerermäßigung unter dem Damoklesschwert der Beihilfenrückforderung durch die EU-Kommission oder durch Klagen von Wettbewerbern. Oder soll nun jede Steuerermäßigung in der Krise aufwändig nach den Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien der EU-Kommission notifiziert werden (vgl. dazu Möhlenkamp, ZIP 2014, Beilage zu Heft 44)? Der BFH geht auf die beihilferechtlichen Konsequenzen seines Beschlusses nicht ein - ein Begründungsmangel.
Der Gesetzgeber ist nun gehalten, möglichst rasch ein Gesetz zu erlassen, das die Wirkungen des Sanierungserlasses 2003 wiederherstellt. Dabei sollte auch auf eine Bindungswirkung für Kommunen geachtet werden, die über die Besteuerung von (Buch- oder Schein-) Gewinnen im Rahmen der Gewerbesteuer entscheiden müssen. Für sie galt der Sanierungserlass bislang nicht. Kommt eine gesetzliche Regelung nicht bzw. nicht bald, sind zahlreiche Sanierungen gefährdet. Arbeitsplätze und Wertschöpfungspotentiale würden vernichtet.
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